Offener Brief der Wirtschaft an die Politik – Dienstreisen in Österreich
Sehr geehrte Damen und Herren in Politik & Verwaltung,
Dienstreisen bringen Menschen zusammen, stärken Zusammenarbeit und bilden damit einen integralen Bestandteil unserer Wirtschaft. Für die in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten für Verpflegung, Nächtigung, Fortbewegung etc. sollen die Reisenden von ihren Arbeitgebenden entschädigt werden, soweit das allgemeine Verständnis. Die Regelungen zur Umsetzung dessen sind in Österreich allerdings äußerst komplex und undurchsichtig. In einem System voller regionaler und betrieblicher Unterschiede sowie verschiedenster Berechnungsmethoden ist „in Sachen Reisekostenabrechnung in Österreich alles möglich“, so ein Steuerberater. Dieser Fleckerlteppich an Regularien ist in einer globalen und digitalen Wirtschaft schlichtweg nicht mehr zeitgemäß.
Dementsprechend fordern die Unterzeichnenden im Sinne einer besseren Arbeitswelt, die bereit für die digitale Transformation ist, eine nationale Angleichung der Standards.
Um die Komplexität und Verworrenheit des Status quo in Österreich nachzuvollziehen, lohnt der Blick in benachbarte Länder. In Deutschland gibt es beispielsweise insgesamt zwei Spesensätze für Dienstreisen. Zum einen die „kleine Verpflegungspauschale“ für Geschäftsreisen mit einer Dauer von 8 bis 24 Stunden, zum anderen eine „große Verpflegungspauschale“, die bei Reisen über 24 Stunden gilt. Diese beiden Pauschalen greifen bei Inlands- ebenso wie bei Auslandsreisen. Es spielt also keine Rolle, ob die Reise von Berlin nach München oder von Hamburg nach Rom führt, die Berechnungsgrundlage bleibt immer die gleiche, in Abhängigkeit von der Reisedauer.
In Österreich ist die Lage deutlich anders. Zwar gibt es grundsätzlich auch hier auf Bundesebene allgemeine Regelungen zur Aufwandsentschädigung im Kontext von Dienstreisen, doch reicht deren Gültigkeit nur bis zum Wirkungsbereich anderer Kollektivverträge oder unternehmensinterner Bestimmungen. Kollektivverträge schützen und stärken die Position der Arbeitnehmenden und bilden damit eine der Grundfesten der österreichischen Sozialpartnerschaft. In Bezug auf die Berechnung der Reisekostenzuschüsse wird dieses Ziel allerdings verfehlt. In jedem der insgesamt mehr als 800 Kollektivverträge ist die Spesenkalkulation völlig anders geregelt, was die Arbeitnehmenden weder stärkt noch schützt und den gesamten Prozess schlichtweg für alle Beteiligten verkompliziert. In einigen Kollektivverträgen wird beispielsweise zwischen aktiven und passiven Arbeitsstunden auf Dienstreisen unterschieden, in anderen taucht diese Differenzierung überhaupt nicht auf. Daraus folgt, dass regionalbedingt etwa in Wien völlig andere Regelungen als in Salzburg oder Kärnten gelten. Ferner können auch innerhalb der Regionen Betriebsvorschriften die Lage ändern. So können Unternehmen beispielsweise eigenmächtig entscheiden, von den vom Gesetzgebenden vorgeschriebenen 2,20 Euro pro Stunde als Aufwandsentschädigung für den Dienstreisenden abzuweichen und ihren Mitarbeitenden einfach mehr zu bezahlen. Berechnet werden die Pauschalen auch auf völlig unterschiedliche Art und Weise. Die Spanne reicht hier von Zwölfteln über Vierteln bis hin zu Dritteln des Kalendertages. Wer diese Bestimmungen alle beachten möchte, muss sich umfangreich und sehr detailliert informieren. Um diesen enormen Aufwand nicht erbringen zu müssen, brechen manche Unternehmen diese Komplexität gar eigens herunter und nehmen in Kauf eventuell nicht gesetzeskonform und revisionssicher zu handeln.
Aufgrund Österreichs geografischer Lage, im Herzen Europas, und der starken wirtschaftlichen Beziehungen zu seinen Nachbarstaaten führen Geschäftsreisen häufig über Ländergrenzen hinweg. Bei der Kostenabrechnung zieht das weitere Komplikationen nach sich. Für jedes einzelne Land gibt es gesondert festgelegte Pauschalen, wobei zu Grundlage der Berechnung dasjenige Land verwendet wird, in dem sich während der Reise am längsten aufgehalten wurde. Besonders komplex wird es dann bei Reisen, die zu Grenzorten hin und von diesen weg führen. Reisen zu Orten, die nicht weiter als 15 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt sind, gelten als Inlandsreisen, unterliegen also anderen Regelungen als Auslandsreisen. Die Distanz wird gemäß Luftlinie berechnet, doch ist nicht klar welcher Punkt des jeweiligen Ortes als Referenz dient. Der Bahnhof kann 14,5 das Stadtzentrum allerdings 15,9 Kilometer von der Grenze entfernt sein. In- oder Ausland? Es ist nicht klar.
All diese Komplikationen bringen ein entscheidendes Problem mit sich: sie behindern das freie Wirtschaften. Sie erhöhen den Aufwand für administrative Prozesse massiv und binden somit die Zeit von Mitarbeitenden, die sich zweifelsohne mit produktiveren Dingen auseinandersetzen könnten. In anderen Ländern stehen Unternehmen digitale Lösungen zur Verfügung, mit denen Tagegelder automatisch berechnet und ausgezahlt werden können. Aufgrund der Unterschiede von Kollektivvertrag zu Kollektivvertrag ist eine standardisierte Lösung in Österreich allerdings nicht möglich und individuelle Tools zu programmieren wäre schlichtweg zu teuer für die einzelnen Unternehmen und selbst die großen Anbieter auf dem Markt. Auf diese Weise werden die Potenziale der Digitalisierung hinsichtlich Prozessoptimierung und allgemeiner Effizienzsteigerung nicht ausreichend genutzt und das nachhaltige Wirtschaftswachstum gefährdet. Die Unterzeichnenden sehen also eine dringende Notwendigkeit zur Angleichung der Standards.
Seit Jahrtausenden bewegen sich Menschen in beruflicher Funktion außerhalb ihrer heimischen Umgebung. Dienstreisen waren also schon immer ein Teil des Wirtschaftens. Nun haben es insbesondere die vergangenen 200 Jahre mit sich gebracht, dass die Welt enger zusammengewachsen ist. Aus Fürstentümern wurden Nationen und aus diesen supranationale Verbände. Allem wohnt inzwischen ein überregionaler Zusammenhang inne, dem mit parzellierten Lösungen nicht gerecht zu werden ist. Die Unterzeichnenden fordern die Politik und Verwaltung im Namen guter Regierungsführung also dazu auf, für Dienstreisen klare und allgemeingültige Rahmenbedingungen festzulegen, um so zu einer besseren Arbeitswelt beizutragen, die in die Digitalisierung investiert, um so bestmöglich von ihr zu profitieren .